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Nov 09

Unabhängig und doch abhängig

Heute ist in Kambodscha der Unabhängigkeitstag. Am 9. November 1953 hat damals König Sihanouk die Unabhängigkeit Kambodschas ausgerufen. Seit Tagen weht an vielen Straßenrändern alle 5 – 10m eine kambodschanische Flagge. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wegen dem Unabhängigkeitstag oder weil ein paar Tage zuvor der König Geburtstag hatte. Die Stadt ist jedenfalls in Feststimmung. Am Morgen fand schon eine offizielle Zeremonie am Independence Monument statt. Wir wollen nun am Abend die Feststimmung genießen und an die Riverfront gefahren. Der Königspalast ist mit vielen Lichterkugeln schön angestrahlt. Fast ein wenig wie Weihnachten, denke ich. Wir kommen gerade rechtzeitig an, da beginnt auch schon das Feuerwerk. Es erinnert mich ein bisschen an „Rhein in Flammen“, wenn es auch hier nicht ganz so pompös ist. Trotzdem freue ich mich mit vielen anderen Khmer, die ebenso das Feuerwerk genießen. Einige Khmer machen, wie sonst auch oft, Aerobic. Es macht Spaß ihnen zuzuschauen wie jung und alt, Frauen und Männer, im gleichen Rhythmus mitten auf dem breiten Fußgängersteig an der Riverfront tanzen. Dieses gemeinschaftliche Bild kann ich mir für Deutschland irgendwie nur schwer vorstellen.

Das Feuerwerk ist inzwischen vorbei und wir setzen uns auf die große Wiese vor dem Königspalast. Viele Khmer picknicken hier. Die Kinder spielen und jeder scheint angeblich den Abend zu genießen.

Ich beobachte die Khmer. Aus meinem Seitenwinkel sehe ich eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Sie hat ärmliche Kleidung an. Den kleinen Jungen trägt sie auf dem Arm, der andere Junge, vielleicht 3 Jahre alt, geht an ihrer Hand. Sie nähern sich uns, während ich über sie nachdenke. Jetzt stehen sie vor uns. Die Mutter zeigt dem Dreijährigen, dass er sich vor uns knien soll. Sie betteln. Ich sitze da und weiß nicht wo ich hinschauen soll. Der kleine Junge auf ihrem Arm hat noch nicht mal eine Unterhose an, der Dreijährige kein T-Shirt. Ich schaffe es nicht die Mutter anzuschauen. Ich kann nicht mit ihr reden. Ich spreche noch nicht ihre Sprache. Still frage ich mich „Ihr einfach ein paar Riel geben? Schmerzen würde mich das nicht, wir besitzen hier immer hin mehr als viele. Trotzdem hilft es ihr wirklich?“

Die Minuten vergehen wie Stunden. Der Junge hat aufgehört sich vor uns niederzuknien, aber sie stehen immer noch geduldig vor uns. Ich muss an den lahmen Bettler in Jerusalem denken (Apg. 3). Manche biblischen Geschichten kann ich hier viel besser nachvollziehen. Was mag er gefühlt haben, so lange Jahre betteln zu müssen. Ich denke an die zwei Jungs, die vor mir stehen. Was für ein Leben werden sie in diesem Land leben müssen. Petrus und Johannes haben damals dem Bettler kein Geld gegeben, sondern ihn im Namen Jesu gesund gemacht. Und ich? Vor mir steht kein Kranker!? Vor mir bettelt eine Mutter mit ihren beiden kleinen Kindern. Sie gehen. Zum Nächsten. Diesmal keine Ausländer. Ich sehe wie einer ihnen ein paar Riel in die Hand drückt. Dann ziehen sie weiter zu nächsten.

Heute ist Unabhängigkeitstag. Unabhängig wovon? Wenn ich gerade bettelnde Menschen vor mir hatte die abhängig von anderen sind!? Viele offene Fragen schwirren im meinem Kopf und werden noch länger in mir bohren. Unabhängig. Plötzlich wird mir eins, in mitten der Fragen und Gedanken, wieder ganz neu bewusst. Ich bin vollkommen abhängig von Gott – selbst am Unabhängigkeitstag. Abhängig von seiner Liebe, seiner Vergebung, seiner Kraft, seiner Weisheit. Dieser Frau konnte ich nichts geben, außer ein stilles Gebet, dass sie eines Tages Gott kennen lernt – von IHM abhängig wird.

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